nach Herwig Strauss und Jens Hartmann
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Hintergrund: Folgen Sie uns in das erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Triest ist der bedeutendste Seehafen der k.u.k. Monarchie, der oesterreichische Lloyd ihre groesste und maechtigste Reederei. Eildampfer werden benoetigt, um die Aussenposten des Reiches im Sueden zu versorgen: Cattaro (Kotor), Ragusa (Dubrovnik) sind die dalmatinischen Haupthaefen, die fuer Militaer und Wirtschaft zunehmende Bedeutung erlangen. Um sie zu erschliessen, laesst der Lloyd unter seinem Praesidenten Dr. Derschatta neue Schiffe auf Kiel legen. Und weil die Kapazitaet des Stabilimento Tecnico Triestino, der Triestiner Werft ausgelastet ist und in Fiume (Rijeka) der Stolz der ungarischen Reichshaelfte, das Schlachtschiff "Szent Istvan" gebaut wird, greift man auf die Werft "Gourlay Brothers & Co. Ltd." im schottischen Dundee zurueck, um dort zwei der drei neuen Schnelldampfer fuer die dalmatinische Eillinie bauen zu lassen. "Baron Gautsch", "Baron Bruck" und "Prinz Hohenlohe" werden sie heissen, und nur der "Baron Bruck" wird in der Triestiner Werft S.Rocco gebaut. Dieses Schiff geht nach dem I. Weltkrieg in italienischen Besitz ueber und wird unter dem Namen "Friuli" weiter eingesetzt.
Das Schiff:Alle drei Schiffe sind 84,5m lang, knapp 12m breit und haben eine Wasserverdraengung von ca. 2.100 BRT. 1908 laeuft der "Baron Gautsch" als erstes der drei Schiffe vom Stapel, das letzte ist "Baron Bruck" 1913. Er hat nur zwei Kessel, die seine beiden Schrauben antreiben, die beiden Schwesterschiffe haben deren drei, die mit insgesamt 4.600 PS auf die Bronzeschrauben wirken. Die erwartete gewaltige Leistungssteigerung bei den beiden in Schottland gebauten Schiffen wird durch die dritte Maschine nicht erzielt, daher wird "Baron Bruck" von Anfang an nur mit 2 Maschinen konzipiert. Befeuert werden die Kessel, die den noetigen Dampf erzeugen sollen, nach neuester Technologie nicht mehr mit Kohle, sondern mit Schweroel. Die verspaetete Lieferung sowie die zu geringe Leistung der Maschinen gab Anlass zu Reklamationen bei der Werft Gourlay Bros. & Co. Ltd., was zu umfangreichen Umbauten durch Werftmannschaften im Heimathafen des Schiffes, Triest, fuehrte. Die hohen Kosten fuer diese Umbauarbeiten trugen letztendlich dazu bei, dass Gourlay Bros. & Co., Ltd. am 23.10.1910 liquidiert werden musste. Namensgeber des Schiffes war Baron Paul Gautsch v. Frankenthurn, Ende des 19. Jahrhunderts zuerst Unterrichtsminister, dann Ministerpraesident und Innenminister der k.u.k. Monarchie. Die "Gautsch" war ab 1908 im Liniendienst und verkehrte auf der sogenannten Dalmatischen Eillinie zwischen Triest und der Bucht von Kotor (damals Bocche di Cattaro) als Post- und Passagierschiff.
Nach Kriegsausbruch wurde der "Baron Gautsch" am 27.7.1914 von der k.u.k. Kriegsmarine angemietet, um Augmentationstruppen (Verstaerkungen) nach Cattaro (Kotor) zu transportieren. Auf vier Fahrten in Miete wurden 1810 Seemeilen zurueckgelegt und 2855 Personen befoerdert. Auf der Rueckreise wurden jeweils Zivilisten in die obere Adria evakuiert. Nach Abschluss der Augmentation wurde das Schiff am 11.8.1914 dem Lloyd in Cattaro (Kotor) zurueckgegeben.
Was dann passierte:Vor der Abreise nach Cattaro (Kotor) fand in Triest eine Besprechung im k.u.k. Seebezirkskommando statt, bei der einem Offizier des Schiffes Anweisungen ueber den Kurs gegeben werden sollten, den das Schiff wegen der von der k.u.k. Kriegsmarine zu legenden Minenfelder einzuhalten haben wuerde. Der Kapitaen des "Baron Gautsch", Paul Winter, entsandte den II. Offizier, Tenze, zu dieser Besprechung, der seinem Kapitaen berichtete, worauf der I. Offizier, Luppis, den Kurs festlegte. Schriftliche Aufzeichnungen ueber die Minenfelder durften aus Geheimhaltungsgruenden nicht angefertigt werden. Im weiteren Verlauf der Reise erhielt die Schiffsfuehrung ergaenzende Weisungen der Militaerbehoerden in Zara (Zadar), die im Wesentlichen jenen des Triestiner Seebezirkskommandos entsprachen. Auf der Rueckfahrt von Cattaro (Kotor) nach Triest nahm der "Baron Gautsch" neben den Fluechtlingen aus Bosnien und der Herzegowina auf den dalmatinischen Inseln noch Sommerfrischler an Bord. Am 13. August 1914 gegen 11:00 Uhr lief das Schiff aus dem Hafen von Lussin Grande (Veli Losinj) aus. Die geplante Ankunft in Triest war gegen 18:00 Uhr. Von Lussin bis auf die Hoehe von Pola (Pula) haette Luppis die Wache zu fuehren gehabt, uebergab diese jedoch ohne Zustimmung und Erlaubnis des Kommandanten dem II. Offizier Tenze und speiste mit den Passagieren der I. Klasse zu Mittag. Tenze haette ohnehin um 14:00 Uhr den Dienst zu uebernehmen gehabt, daher verliess Luppis gegen 13:45 Uhr die Bruecke. Der Kurs des "Baron Gautsch" fuehrte weiterhin nach Norden, viel naeher an der Kueste, als es die Anweisungen der Militaerbehoerden verlangten. Eine Begegnung mit dem Schwesterschiff "Prinz Hohenlohe", das 3 Seemeilen weiter von der Kueste nach Dalmatien unterwegs war, und mehrere Hinweise von Reisenden dem kommandierenden Offizier gegenueber, die geruechteweise von der bevorstehenden Verlegung von Minen zur Sicherung der Hafeneinfahrt von Pola (Pula) gehoert hatten, fuehrten zu keiner Kurskorrektur. 7 Seemeilen noerdlich der Brionischen Inseln lief der Dampfer um ca. 14:50 Uhr mit voller Fahrt in das eigene, gerade erst gelegte Minenfeld. Der Minenleger "Basilisk" gab noch Warnsignale, die jedoch nicht beachtet wurden.
Im letzten Moment versuchte der Schiffsfuehrer den Dampfer nach Westen, aus der Gefahrenzone heraus zu steuern, doch eine Minenexplosion zerriss die Bordwand an Steuerbord unter der Wasserlinie, und das Schiff sank. Das Schiff nahm rasend schnell Wasser, bekam so starke Schlagseite, dass die Steuerbord-Rettungsboote nicht mehr ausgebracht werden konnten, und sank innerhalb von nur sechs Minuten. Zeitgenoessische Berichte vermelden, dass sich die Besatzung ohne jede Ruecksicht auf Frauen und Kinder unter den Passagieren in Sicherheit gebracht haben soll. Das Unglueck forderte immensen Blutzoll: Mindestens 177 Menschen, darunter viele Frauen und Kinder, ertranken oder kamen im ausgelaufenen, brennenden Schweroel um. 159 Personen konnten von zu Hilfe eilenden oesterreichisch-ungarischen Zerstoerern "Csepel", "Triglav" und "Balaton" gerettet werden. Auch Kapitaen, der zum Zeitpunkt des Ungluecks in seiner Kanine schlief und der I. Offizier wurden gerettet und in Pola (Pula) unter Hausarrest gestellt. Die Leiche des II. Offiziers wurde zwei Tage spaeter bei Pola (Pula) angeschwemmt - mit einer Kugel im Kopf. Tenze hatte also aus den Folgen seiner Schiffsfuehrung die Konsequenzen gezogen.
Die Folgen: Durch den weiteren Verlauf der Ereignisse ist der Ausgang des Verfahrens nicht bekannt, zumal das Unglueck der bereits unter Kriegszensur stehenden oesterreichischen Presse und damit der Bevoelkerung verheimlicht wurde, weil sein Bekanntwerden der Moral schaden haette koennen. Ausfuehrliche Berichte und Listen der Ueberlebenden der Katastrophe erschienen allerdings in den Triestiner Zeitungen. Das offizielle oesterreich litt mit dem Lloyd, was viele in Triestiner Zeitungen abgedruckte Depeschen von Wiener Regierungsstellen bezeugen, die allesamt an den Praesidenten des Lloyd, de Derschatta, gerichtet sind. Offizielles Mitgefuehl mit den Opfern des Ungluecks wurde hingegen nicht bekundet. Schadenersatzforderungen wurden vom Lloyd zunaechst abgewiesen, spaeter wurden vom Handelsministerium 200.000 Kronen fuer die Geschaedigten bereitgestellt. Die Hinterbliebenen klagten den Lloyd in Wien auf Schadenersatz. Der Prozess zog sich hin, die Akten ueber den Untergang des "Baron Gautsch" wurden vom Kriegsarchiv dem LG fuer Zivilrechtssachen in Wien entlehnt und wurden dort im Justizpalastbrand waehrend der Juliunruhen des Jahres 1925 vernichtet. Der Rechtsanwalt der Hinterbliebenengemeinschaft, ein Dr. Schapiro, war Jude, was zur Folge hatte, dass seine Kanzlei waehrend der Pogrome von 1939 von den Nationalsozialisten ausgeraeumt wurde. Dabei ging Schapiros Handakt verloren, so dass abgesehen von der uebersetzung der Anklageschrift der k.u.k. Staatsanwaltschaft in Rovigno (Rovinj) gegen Kpt. Winter und I.O. Luppis keinerlei offizielle Unterlagen mehr ueber den Untergang des "Baron Gautsch" aufzufinden sind. Sowohl Winter als auch Luppis finden sich in den zwanziger Jahren in den Standeslisten des Lloyd Adriatico, beide fuehrten sogar Schiffe auf ueberseelinien. Das Unglueck hatte die Karrieren dieser beiden Offiziere also nicht behindert.
Geschichte des Wracks:Unmittelbar nach dem Untergang des "Baron Gautsch" und der Rettung der ueberlebenden wurde ein Helmtaucher der k.u.k. Kriegsmarine zu dem Wrack abgesetzt; von ihm konnte nur mehr der Luftschlauch an die Oberflaeche gebracht werden. Nach dem I. Weltkrieg wurde der "Baron Gautsch" in den 20er Jahren von der jugoslawischen Marine als Angriffsziel fuer Marinetaucher benutzt und weiter zerstoert. Wie heute ersichtlich, wurden auch die Schrauben in dieser Zeit abmontiert und geborgen - Buntmetallbeschaffung in der Zwischenkriegszeit. Das Wrack wurde 1958 im Auftrag eines Geschaeftsmannes aus Triest von dem auf Schiffsbergungen spezialisierten Unternehmen "Brodospas" aus Split (Spalato) gesucht. Die genaue Position konnte nach 14 Tagen der Suche am 15. August 1958 bestimmt werden. Die Position wurde am 26. August 1958 von einem Angestellten der Bergungsfirma, dem Taucher Libero Giurissini, der Hafenkommandatur von Triest angezeigt, vermutlich, weil sich dieser nach dem geltenden Seerecht einen Anteil von 15% aller aus dem Schiff zu bergenden Werte sichern wollte. Danach geriet der "Baron Gautsch" in Vergessenheit.
Seine Position muss aber seit einigen Jahren kroatischen Fischern bekannt gewesen sein, die immer wieder - gegen gute Bezahlung, aber ohne Garantie, das Wrack zu finden - Tauchern die Moeglichkeit boten, den "Baron Gautsch" zu betauchen. Als Hindernis fuer die Schleppnetze war es den Fischern seit jeher laestig. Davon zeugen auch viele zerrissene Netzreste an verschiedenen Stellen des Wracks. Seit etwa 1992 sind auf dem Flohmarkt und in Antiquitaetengeschaeften in Wien immer wieder Souvenirs aus dem "Baron Gautsch", von der WC-Schuessel ueber Silberbesteck bis zum Likoerglas aufgetaucht. Dazu ist festzuhalten, dass die Schiffe des Lloyd kein eigenes Schiffsporzellan etc. fuehrten; alle Stuecke waren lediglich mit dem Wappen des Llody und dem Wahlspruch "Vorwaerts" markiert. Eine Information der nautischen Vereinigung "Aldebaran", Triest, ergab, dass dort bereits 1981 die Plaene des "Baron Bruck" ausgehoben und kopiert wurden. Das Wrack des "Baron Gautsch" duerfte also schon damals betaucht worden sein.
Die Kommune Rovinj erkannte rasch die Bedeutung, die ein so grosses und beruehmtes Wrack vor der Kueste fuer den istrianischen Tauchtourismus hat. 1993 drehte die italienische RAI eine Fernsehdokumentation ueber den "Baron Gautsch", den Untergang und das Wrack, und in rascher Abfolge erschienen Berichte in italienischen und oesterreichischen Zeitungen. Am 80. Jahrestag des Unterganges, dem 14. August 1994 stand ganz Rovinj im Zeichen einer Gedenkveranstaltung unter Mitwirkung der Kirche, militaerischer und politischer Wuerdentraeger. Auf See wurden Kraenze im Gedenken an die Opfer versenkt, eine Gedenktafel wurde am Wrack angebracht. Die RAI-Dokumentation wurde am Abend auf dem Hauptplatz von Rovinj auf eine Grossbildleinwand projiziert, und jeder in Rovinj anwesende Tourist wurde mit der Geschichte dieses Schiffes konfrontiert. Da nur ein Teil der Opfer des Unterganges geborgen worden war, gab es Bestrebungen seitens der kroatischen Regierung, das Wrack zum Kriegsgrab zu erklaeren und unter entsprechenden Schutz zu stellen. Obwohl bei keinem der bisher durchgefuehrten Tauchgaenge menschliche ueberreste gefunden wurden, waere Tauchen dann wohl nicht mehr moeglich gewesen. Diese Bestrebungen wurden vom oesterreichischen Marineverband sehr gefoerdert, was sich auch im Rahmen einer Pressekonferenz waehrend der Gedenkveranstaltung zum 80. Jahrestag des Unglueckes im August 1994 zeigte. Als Folge davon wurde der "Baron Gautsch" im Oktober 1995 zum nationalen Kulturdenkmal erklaert, nicht jedoch, bevor die kroatische Spezialpolizei nochmals eine eingehende Erforschung (und letzte gruendliche Raeumung des Wracks von allem nicht Niet- und Nagelfesten) durchgefuehrt hatte, und mit einem absoluten Tauchverbot belegt. Damit waere den in der Gegend ansaessigen Tauchbasen eine wesentliche Existenzgrundlage entzogen worden. Letztendlich hat sich jedoch die Vernunft durchgesetzt, Sondergenehmigungen wurden erteilt und heute ist es wieder moeglich, von verschiedenen Tauchbasen aus, Tauchgaenge am Wrack des "Baron Gautsch" durchzufuehren.